Für die Katholische Aktion (KA) gehört es zur gesellschaftlichen Verantwortung, sich auch mit Politik und Parteipolitik auseinanderzusetzen, daher wurde im Vorfeld der Nationalratswahl die Aktion „Mit der KA im Gespräch“ ins Leben gerufen. Dabei befragt der KA-Präsident der Diözese St. Pölten, Mag. Armin Haiderer, Parteivertreter jede Woche zu definierten Themen. Sein erster Gesprächspartner war Dr. Helmut Brandstätter von den NEOS. Folgend das Gespräch in ungekürzter Version.
„Religion ist für die Neos kein Herzensthema" meinte Matthias Strolz vor einigen Jahren. Ist das noch immer so. Warum? Vielleicht auch ein Stück weit als Abgrenzung zur ÖVP?
Brandstätter: Ich weiß nicht, wie oder warum Matthias Strolz das gemeint hat. Ich habe rund um die Flüchtlingswelle einmal geschrieben, dass Religion immer wichtiger werden wird. Es befremdet uns, wie Menschen, die zu uns kommen, religiös sind und wir gleichzeitig nicht mehr viel mit unserer Religiosität anfangen können. Und das wird in diesem Land etwas verändern. Mein wichtigster Punkt ist: Respektieren und nicht darüber lustig machen. Ich akzeptiere jeden Agnostiker, jeden der sagt, er will damit nichts zu tun haben und jeden, der in die Kirche geht. Atheist zu sein ist schwierig, weil es nicht leicht ist zu „wissen“, dass es nicht gibt.
Das ist natürlich jetzt ihre respektable Privatmeinung. Es bleibt aber die Frage, in wie weit diese bei den NEOS einfließen kann. Denn: NEOS und Religion – das ist eine spannungsreiche Geschichte.
Brandstätter: Nun, in einem Punkt sind wir uns völlig einig, nämlich, dass Religion Privatsache ist und über die Trennung von Kirche und Staat. Und bei NEOS gibt es Respekt für
Die NEOS sprechen sich für eine Liberalisierungen von Ladenöffnungszeiten aus. bzw. für die Möglichkeit der Ladenöffnung am Sonntag. Für Christen ist der Sonntag nun aber ein ganz besonderer Tag. Soll dieser besonders bleiben oder soll sich das jeder mit sich selbst ausmachen?jeden, der sein privates Leben so führt, wie er es will.
Brandstätter: Für gut 20 Prozent der Bevölkerung gibt es so etwas wie den arbeitsfreien Sonntag gar nicht. Und durch die demographischen Veränderungen tut sich auch etwas: Der Sonntag ist für viele Menschen einer anderen Religion sowieso kein Feiertag. So wie die Situation gegenwärtig ist, finde ich es nicht so schlecht. Ich hätte allerdings nichts dagegen wenn die Möglichkeit zur Öffnung für Kleinunternehmer größer wird.
Claudia Gamon, hatte Anfang Mai 2019, in der ORF-Pressestunde eine Ersetzung des 1. Mai als arbeitsfreien Feiertag vorgeschlagen. Läuft das nicht auf die Abschaffung von Feiertagen (die bis auf 2 kirchlich-katholisch sind) hinaus?
Brandstätter: Es ist letztlich auch eine Frage des Respekts: Für Sozialdemokraten ist das ein wichtiger Feiertag – übrigens auch für viele christliche Arbeitnehmer, die hier viele Veranstaltungen machen. Aber, dass wir generell sehr viele Feiertage in Österreich haben, ist auch ein Stück Wahrheit.
Und wie stehen Sie dann zur Karfreitagdiskussion?
Brandstätter: Ich hatte immer wieder evangelische Kollegen, die am Karfreitag nicht gearbeitet haben. Ich wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, vor Gericht zu gehen und das anzuzeigen. Wir sollten nicht so kleinlich sein und immer nur darauf schauen, ob irgendjemand vielleicht einen kleinen Vorteil mir gegenüber hat. Ich habe diesen kleinen Vorteil den Evangelischen immer gegönnt.
NEOS sprechen sich für ein Pflichtfach „Religionen- und Ethikunterricht“ ab der ersten Schulstufe aus. Warum? Hat der konfessionelle Religionsunterricht bisher keine gute Arbeit geleistet?
Brandstätter: Unser Religionsunterricht war noch sehr streng. Am Montag sind wir in der Volksschule gefragt worden, ob wir am Sonntag in der Kirche waren. Entweder war man wirklich oder man hat gelogen um einer Diskriminierung zu entgehen.
Bei allem Respekt: Das ist aber auch schon eine Zeitlang her.
Brandstätter: Ja, und so etwas geht heute einfach nicht mehr. Aber wir haben einen nicht geringen Anteil Muslime im Land. Wir wundern uns über deren Religion, wissen kaum etwas darüber. Mich täte ja interessieren, wie viele Katholiken wissen, dass Jesus ein muslimischer Prophet ist. Was Religionen verbindet und trennt – das sollte man unbedingt in der Schule behandeln. Ich bin für ein größtmögliches Verständnis und möglichst wenig Indoktrination – bei allen Religionen.
Aber genau das geschieht doch alles schon im konfessionellen RU. Die Vorstellungen vom Indoktrinieren der Kinder sind schon längst überholt.
Brandstätter: Aber der Ethikunterricht könnte es auch gewährleisten.
Doch auch ein Ethikunterricht schützt nicht automatisch vor einer Indoktrination. Und die Beschäftigung mit anderen Religionen hat im RU ebenso Platz wie Religionskritik und das Überdenken der eigenen Vorstellungen.
Brandstätter: Natürlich hat sich gerade die Katholische Kirche verändert und sie wird sich auch weiter verändern. Das Aufgliedern in verschiedene Konfessionen kommt ja dann auch dazu, ein gemeinsamer Unterricht wäre da schöner, weil die Freiheit zu glauben so mehr gefördert werden kann. Ich glaube, die Katholische Kirche hätte keinen Nachteil von einem Ethikunterricht.
Und wer sollte Ethik Ihrer Meinung nach unterrichten?
Brandstätter: Ich habe gar nichts gegen konfessionell Ausgebildete.
Wenig überraschend nicht auf katholischer Linie ist die Position zur Abtreibung. Können wir uns darauf einigen, dass Abtreibung grundsätzlich ein Übel ist?
Brandstätter: Als Mann tu ich mir immer schwer darüber zu reden. Du kannst in die Entscheidung eingebunden sein, aber es betrifft den Körper der Frau und damit ist es letztlich auch ihre Entscheidung.
Wären nicht endlich einmal statistisch valide Daten notwendig? Dazu gab es bereits mehrere Initiativen.
Brandstätter: Ich sag es ganz offen: Damit habe ich mich noch nicht so sehr beschäftigt um eine qualifizierte Meinung darüber abzugeben. Es ist so eine persönliche Sache, ich kann nur jedem Mann raten, sich da letztlich etwas zurückzuhalten.
Verhütungsmittel gratis für alle waren ein Vorschlag der Jungen Neos.
Brandstätter: Sinnvoller wäre eine bessere Aufklärung, die schon vorher ansetzt. Man darf Jugendliche dabei nicht alleine lassen. Aber auch das ist eine sehr persönliche Angelegenheit.
Wie stehen NEOS zur eugenischen Indikation (die Möglichkeit einer Abtreibung bis knapp vor der Geburt bei Behinderungen)?
Brandstätter: Ich wünsche allen Eltern gesunde Kinder. Gerade hier wäre es auch verfehlt, mit Strafen daherzukommen. Hilfsangebote müssen stattdessen ausgebaut werden. Deswegen bin ich auch sehr dankbar für die NGS wie Caritas und Diakonie etwa.
Als liberale Partei werden sie wohl auch liberale Positionen am Ende des Lebens vertreten – Stichwort Sterbehilfe – oder?
Brandstätter: Alleine schon aufgrund unserer Geschichte müssen wir da sehr vorsichtig sein. Beim Delikt „Tötung auf Verlangen“ gibt es interessanterweise sehr wenige Urteile bzw. Verfahren. Was machst du denn wirklich mit einem Ehepaar die ihr Leben miteinander verbracht haben, und einer der beiden tötet auf Verlangen? Es ist auf jeden Fall nichts, dass sich für eine Twitter-Diskussion eignen würde.
Mit unglaublicher Vehemenz setzen sich Neos für die sogenannte „Trennung von Kirche und Staat“ ein bzw. dafür, dass Religion Privatsache ist. Nur: Was soll: „Religion ist Privatsache“ heißen?
Brandstätter: Ob ich meine Kinder taufen lassen oder nicht, ob diese dann austreten oder nicht, ob ich in die Kirche gehe oder nicht – das soll alles mir überlassen bleiben. Ich darf dadurch weder Vor- noch Nachteile haben, brauche mich aber auch nicht dafür verteidigen.
Und wie steht NEOS zum Kreuz in der Klasse?
Brandstätter: Das soll man den Schulklassen selbst überlassen. Die sollen das selbst diskutieren. Vor 10 Jahren hat das Kreuz im Klassenraum aber auch niemanden interessiert. Es war halt so.
Vielleicht weil die anti-religiösen Tendenzen in unserer Gesellschaft auch immer radikaler und lauter werden.
Brandstätter: Oder weil manche sagen: Wenn es so viele Muslime gibt, warum dürfen die nicht auch etwas aufhängen?
Aber dann kann es ja nicht Ziel sein, das Kreuz gleich generell runterzugeben. Ich glaube auch nicht, dass die Beschwerden darüber von Katholiken oder Muslimen kommen, sondern von Leuten, die mit Religion eh nichts am Hut haben.
Brandstätter: Ja, vielleicht.
Die Frage ist: Das Engagement für die Gesellschaft fundiert ja bei kirchlichen Organisationen zu einem guten Teil im Glauben. Würde man sich mit seiner Religiosität in die eigenen vier Wände zurückziehen, was wäre dann?Brandstätter: Ich glaube, dass hat mit Kirche und Staat nichts zu tun, sondern das ist das konkrete christliche Verständnis einer Person. Aber ja, wir wären natürlich viel ärmer ohne NGOs wie der Caritas. Darum habe ich ja auch diese vor den Angriffen der FPÖ verteidigt. Dass die ÖVP hingegen dazu geschwiegen hat – das hat mich dann doch sehr verwundert.
Die Jugendbewegungen der Parteien sind meist etwas radikaler als die Mutterpartei. Die Jungen Neos forderten einst (Antragsteller: Niki Scherak) die Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit des Kirchenbeitrages ebenso wie das den „besonderen Schutz von religiösen Gefühlen" oder die Subventionierung konfessioneller Privatschulen. Auch das Konkordat sollte aufgekündigt werden. Wie sieht das die Mutterpartei?
Brandstätter: Man sollte immer überlegen, wenn man etwas fordert, ob das auch erfolgreich sein kann und im Fall des Konkordats sehe ich das nicht. So einen Vertrag einseitig zu ändern, dass wir ein bisserl schwierig sein. Zu Konkordatsverhandlungen würde ich dringend abraten, weil wir in diesem Land ganz andere Sorgen haben. Die Absetzbarkeit bringt ja jedem Einzelnen auch was, also das sollte so bleiben. Der Blasphemieparagraph wird sowieso nicht mehr angewandt. Und wenn es Katholiken aushalten müssen, dass man sich über ihren Glauben lustig macht, dann auch Muslime. Doch ich verstehe auch nicht, warum man bei Spottbildern beleidigt sein muss.
Aber ist das notwendig? Sind Religionsschmähungen notwendig?
Brandstätter: Nein, sind sie nicht. Ich würde es nicht machen. Ich würde aber Leute verteidigen, die so etwas machen. Weil das müssen wir aushalten.
Wie hilfreich sind politische Meldungen der Katholischen Kirche?
Brandstätter: Ich schätze den Kardinal sehr, er ist sehr vorsichtig. Wenn er also einmal eine politische Äußerung tätigt, muss im Vorfeld viel passiert sein. Er ist für mich ein guter Indikator, ob in der Gesellschaft etwas schief läuft.
Ist er für Sie eine moralische Instanz?
Brandstätter: Ja, auf jeden Fall. Aber auch eine politische Instanz.
NEOS fordern eine „europaweite Ehe für alle“. Was ist darunter zu verstehen?
Brandstätter: Dass Mann und Frau, Frau und Frau sowie Mann und Mann überall in Europa heiraten dürfen. Das wird es zwar wahrscheinlich nie geben, sollte es aber. Familie ist dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen.
Die NEOS wollten ja – neben anderen Parteien - die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau nicht in der Verfassung verankern. Warum nicht?
Brandstätter: Die Verfassung soll den Rechtsstaat ordnen und nicht vollgestopft werden. Weder mit Gott, noch mit Bargeld oder Rauchverboten. Damit würde die Verfassung ja fast schon lächerlich gemacht werden.
Eine der unbekannten Tragödien der Gegenwart ist die Christenverfolgung. Je nach Schätzung werden zwischen 100 und 200 Millionen Christen weltweit diskriminiert, unterdrückt oder verfolgt. Warum scheint das niemanden zu interessieren bzw. was kann man dagegen machen?
Brandstätter: Als ich noch beim Kurier war, haben wir einige Male darüber berichtet. Aber es stimmt, das Thema geht ziemlich unter. Medien haben auch Konjunkturen. Und die Christenverfolgung ist einfach nicht im medialen Fokus. Das ist keine Bösartigkeit. Es braucht halt immer wieder Anlassfälle, damit etwas geschieht. Das ist eher eine Frage von Entwicklungszusammenarbeiten und Außenpolitik. Das muss man sich mit EZA ansehen.
Die Katholische Aktion tritt für eine Ökosoziale Steuerreform mit Ökobonus für alle Haushalte ein. Unterstützen sie diesen Vorschlag, oder was sind ihre Pläne zur Erreichung der Klimaziele?
Brandstätter: Der Erhalt der Umwelt sollte uns alle bewegen, das hat mit der Religion nichts zu tun. Dass man Produkte, die mit deutlich mehr Treibhausgasen erzeugt werden, höher besteuert als andere, das kann ich mir schon vorstellen. Für eine liberale Partei wie uns ist das Thema „Verzicht“ natürlich nicht ganz einfach, aber da wird die Gesellschaft nicht drum herum kommen. Es braucht dahinter ein Plan. Verzicht muss aber eher bei den Wohlhabenden beginnen und nicht bei denen, die jeden Cent mehrmals umdrehen müssen.
Das Verhältnis zwischen NEOS und den Religionen wurde ja gleich zu Beginn ziemlich belastet. Mit Niko Alm wurde ein Aktivist, der als atheistischer Fundamentalist, manche sagen Hassprediger, bekannt geworden ist, Religionssprecher der Partei. Disqualifiziert man sich da nicht selbst bei gläubigen Menschen, wenn man so jemanden ins Hohe Haus holt?
Brandstätter: Ja, das hat mich ehrlich auch gestört, weil es eben mit Toleranz und Liberalität nichts zu tun hat. Und Matthias Strolz meinte ja ebenso in einem seiner letzten Interviews, dass es einer seiner größten Fehler war, Niko Alm zum Religionssprecher zu machen. Als Hassprediger sehe ich ihn nicht, aber ich habe manche seiner Stellungnahmen tatsächlich als fundamentalistisch empfunden. Mir fehlt bei ihm oft der Respekt. Es schränkt mich ja in meiner Freiheit nicht ein, ob jemand an Naturreligionen, Jesus oder das Horoskop glaubt. Es ist ein großer Fehler, gläubige und nicht gläubige Menschen gegeneinander auszuspielen.
Aber ist das Anti-Religiöse nicht doch noch in der DNS der NEOS drinnen? Wenn ich mir manche oben zitierten Anträge ansehe oder die Tatsache, dass das überparteiliche Gebetsfrühstück im Parlament von den NEOS als einziger Partei boykottiert wird.
Brandstätter: Ich kenn das parlamentarische Gebetsfrühstück nicht, mich spricht aber alles an, wenn interessante Leute etwas sagen.
Es heißt war „Religion ist Privatsache“ und gemäß diesem Slogan spricht man nicht über den eigenen Glauben. Ich stelle Ihnen trotzdem genau diese Frage: Also, wie leben Sie ihren Glauben? Was bedeutet Ihnen Religion?
Brandstätter: Die 10 Gebote sind auf jeden Fall eine sehr gute Grundlage für ein funktionierendes Zusammenleben. Ich würde nie sagen, dass ich christlich lebe, denn das wäre sehr überheblich. Jeder verstößt irgendwann gegen diese Prinzipien. Ich glaube nicht, dass man jeden Sonntag in die Kirche gehen muss um ein guter Christ zu sein, wichtiger ist der Umgang mit anderen Menschen.
Wordrap:
Sonntag ist…Familientag
Leben ist…meistens wunderschön
Glaube ist…Privatsache
Religion ist…Privatsache
Kirche ist…eine wichtige Institution
Jesus…eine historische Figur
Der Teufel…das Gegenbild zu Gott, ich versuche aber furchtlos zu leben
Gebet ist…eine sehr persönliche Sache
Gott ist…das was jeder für sich empfinden möchte